Mundmikrobiom probiotische Streptokokken

HNO-Facharzt im Interview: Dr. Engel über die Rolle der Mundflora

Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene leiden oft an akuten sowie chronischen Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich. 10 bis 15 % der betroffenen Kinder erkranken sogar 12-mal jährlich an Infekten der oberen Atemwege. Zu diesen zählen neben Schnupfen und Husten auch sehr viel problematischere Mittelohr-, Nasennebelhöhlen- oder sogar Mandelentzündungen. Dr. Alfred Engel ist HNO-Facharzt und ein Experte auf diesem Gebiet. Im folgenden Interview haben wir daher die Gelegenheit genutzt, ihm Fragen zur Schlüsselrolle der Bakterienflora im Mund, wissenschaftlich auch das orale Mikrobiom genannt, zu stellen.

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Häufige Erkrankungen in der Pädiatrie

Dr. Alfred Engel - HNO-Facharzt

Dr. Alfred Engel, HNO-Facharzt

Institut AllergoSan: In der Pädiatrie sind akute und chronische HNO-Infekte die häufigsten Ursachen für Arztbesuche. Können Sie uns sagen, welche Erkrankungen da am öftesten auftreten und warum? 

Dr. Engel: Statistisch gesehen betreffen in der kalten Jahreszeit rund 10% der Erstbesuche in der Praxis für Allgemeinmedizin HNO-Infekte. Die Häufigkeit bei Erwachsenen umfasst 1-3 Infekte pro Wintersaison. Bei Kindern spricht man heute von 3 – 8 Infektionserkrankungen. 10 -15 % der Kinder haben wesentlich häufigere Infektionszahlen (bis zu 12 Infektionen in der kalten Jahreszeit). Die häufigsten Infekte, die Rhinitis (Schnupfen), oder die Bronchitis (Husten) – die zu den einfachen Infektionen der oberen Atemwege zählen, sind häufig viraler Natur.

Virale Infekte sind Wegbereiter für zusätzlichen bakteriellen Befall. Es ist also möglich, dass zu der Virusinfektion noch eine bakterielle Infektion hinzukommt – Fachleute nennen dies “Superinfektion”, wobei schwere Infekte, wie die Otitis media acuta (Mittelohrentzündung) und auch die Tonsillitis acuta (Mandelentzündung), eine wesentliche Rolle spielen.

Die ursprünglich virale Infektion veranlasst aber häufig fälschlich zu einer frühzeitigen antibiotischen Behandlung. Diese antibiotische Behandlung – manchmal gar nicht notwendig – hat negative Auswirkung auf unser Immunsystem. Es werden positive, gesunde Bakterien reduziert und unser Immunsystem leidet infolge seiner geschwächten Abwehrfunktion. Wichtig ist, dass durch die Schwächung des Immunsystems die einzelnen Erkrankungen auch einen wesentlichen schweren Verlauf nehmen, häufig zu Komplikationen führen und bei wiederholten Infekten öfters chronische Veränderungen entstehen. Häufige Infekte der oberen Atemwege bewirken auch die Entstehung und Begünstigung von Asthma bronchiale.

Zu den Hauptinfektionen im Kindesalter zählt die Otitis media, bedingt durch anatomische Besonderheiten (einer kurzen und dünnen Eustachischen Röhre, flacher Winkel des Tubenabgangs, muskuläre Schwäche der Tubenöffnung) oder einem noch nicht so ausgereiften Immunsystems und des häufigen Kontakts mit Keimen im Kindergarten- und Volksschulalter. Dadurch entwickeln sich häufiger Mittelohrentzündungen im Kindesalter. Durch die ursprünglich virale Erkrankung haben pathogene Keime leichtes Spiel und es entstehen zusätzlich bakterielle Infekte, wobei insbesondere Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, und Streptococcus pneumoniae als Haupterreger für unsere Mittelohrentzündungen gesehen werden.

Mit häufigeren und schweren Entzündungen kann es zu Komplikationen wie zu Perforationen des Trommelfells und schließlich auch zur Entwicklung einer chronischen Mittelohrentzündung kommen.

Je häufiger Entzündungen entstehen, umso mehr verändert sich auch die Anatomie an den Schleimhäuten, sodass es schließlich durch die Schwellung der Schleimhaut (entzündliche Gefäßvermehrung) und durch die Eindickung des Schleims (Verminderung von serösen Schleimdrüsen zu Gunsten der mukösen Schleimdrüsen) häufig zu einer Blockade der Belüftung des Mittelohrs kommt. Infolge dieser Veränderung treten einerseits Hörverminderungen auf und andererseits kommt es zum rascheren Wiederauftreten dieser Entzündungen. Mit häufigeren und schweren Entzündungen kann es zu Komplikationen wie zu Perforationen des Trommelfells und schließlich auch zur Entwicklung einer chronischen Mittelohrentzündung kommen. Daher ist es wichtig, die Häufigkeit und die Schweregrade dieser Infektionen zu reduzieren.

Ähnliche Pathomechanismen haben wir auch bei den chronischen Halsentzündungen. Die anfänglich viralen Pharyngitiden sind sehr häufig und können bewirken, dass die Resistenz gegenüber Bakterien abnimmt und dadurch eine eitrige Angina, Schädigungen des lokalen lymphatischen Gewebes und damit chronische Verläufe auftreten können. Bei mehr als 5-maligen Auftreten einer eitrigen Angina innerhalb eines Jahres ist eine Tonsillektomie (operative Mandelentfernung) anzuraten. Ebenso ist bei einer schlechten Belüftung des Mittelsohrs über eine Parazentese, Einsetzen eines Paukenröhrchens und einer Entfernung der Rachendachmandeln, nachzudenken. Mit einer besseren Abwehr könnte die Anzahl der Operationen wesentlich verringert werden. 

Mundmikrobiom Bakterien im Mund - NahaufnahmeDie Rolle des Mundmikrobioms

Institut AllergoSan: Auch das Mundmikrobiom spielt dabei eine zentrale Rolle. Aber was ist das Mundmikrobiom genau und wie funktioniert es?

Dr. Engel: Bereits bei der Geburt kommt es zu einer Besiedlung der Mundhöhle mit Bakterien. Man spricht auch davon, dass dabei 800-1000 Bakterienstämme in Frage kommen. Wir unterscheiden positive (kommensale) Bakterien, die unser Immunsystem unterstützen und uns davor bewahren, dass krankmachende (pathogene) Keime sich breit machen und Krankheiten auslösen können. Entscheidend ist: Je diverser die orale Mikroflora ist, umso geringer ist die pathogene Kolonisation. Wichtig war die Beobachtung, dass sich bei 40 % der Neugeborenen ein Bakterienstamm, nämlich Streptococcus salivarius K12, breit macht. Streptococcus salivarius K12 ist ein Leitkeim, der die Ausbreitung von gesundheitsfördernden Bakterien begünstigt und negative Keime hemmt. Je stärker die lokale Bakterienflora geschädigt ist, umso häufiger ist das Auftreten von pathogenen Keimen. Wichtig ist, dass auch die positiven, kommensalen Bakterien einen guten Einfluss auf die Schleimbildung selbst haben: Dünnflüssiger Schleim wirkt als Schutzmechanismus, eingedickter zähflüssiger Schleim kann jedoch ein Nährboden für pathogene Keime sein.

Institut AllergoSan: Sie haben den Bakterienstamm Streptococcus erwähnt. Wir haben vorhin gehört Streptococcus ist ein Pathogen, aber auch ein wirklich gesunder Leitkeimstamm, der im gesunden Mundmikrobiom vorkommt. Wie kann man diese unterscheiden?

Dr. Engel: Streptokokken sind eine große Familie von Bakterien. Streptococcus salvarius K12 gehört zu den Laktobazillen, daher darf man sich von der Namensgebung nicht irritieren lassen – es ist ein positiver Leitkeim. Wesentlich ist, dass man diesen Streptococcus viele Wirkungen nachweisen kann, auf die noch später eingegangen wird. Vorab sollte noch kurz erwähnt werden, wieso die Mundhöhle so wichtig für das Immunsystem ist. Unser Kontakt zur äußeren Umwelt erfolgt über Mund und Nase. Hier erfolgt auch die Trennung in Richtung Speiseweg / Verdauungstrakt und in Richtung Atemwege / Lunge. Und an dieser wichtigen Stelle hat der Körper besonders ausgeprägte Abwehrorgane, den sogenannten Waldeyersche-Rachenring.

Wie auch schon beschrieben, sind es die Gaumenmandeln, die wir am häufigsten als erkranktes Organ vorfinden. Die Rachendachmandel oder Adenoide spielen eine wesentliche Rolle für die Belüftung der Eustachischen Röhre. Wir haben auch die bekannten Seitenstrang-Region, wo es zur Seitenstrang-Angina kommen kann. Weniger bekannt sind Infektionen der Zungengrundtonsille. Weiters ist die Mundhöhle durch die Freisetzung des sekretorischen Immunglobulin der Klasse A charakterisiert. Wie schon erwähnt, ist auch die Schleimbildung wesentlich für das Wohlbefinden und für unsere Immunabwehr. In den letzten Jahren ist bekannt geworden, dass es eben nicht nur die Schleimstruktur allein ist, sondern dass diese auch einen Lebensraum für Bakterien darstellt – und da sprechen wir vom Mundmikrobiom – der Gesamtheit der Mikroorganismen im Mund. Daher wird mit der positiven Beeinflussung des Mikrobioms der Ansatz verfolgt, prophylaktisch Infekte zu reduzieren bzw. sogar vermeiden zu können. Kurz zum sekretorisches Immunglobulin A (sIgA): Unsere Schleimdrüsen produzieren selbst Immunglobuline, die bereits in der Mundabwehr gezielt Infekte und Keime abwehren können. Außerdem ist es interessant, dass auch das Darmmikrobiom in der Lage ist, das sekretorische Immunglobulin A im Körper zu erhöhen.

Wieso wirkt Streptococcus salivarius K12 so gut?

Institut AllergoSan: Wie kann es denn sein, dass ein einzelner probiotischer Bakterienstamm (Streptococcus salivarius K12) bei HNO-Infekten so gut wirkt?

Dr. Engel: Man hat einerseits erkannt, dass dieser Stamm proinflammatorische Prozesse blockieren kann und des Weiteren entzündungshemmende Reaktionen im hohen Ausmaß stimulieren kann. Interessant ist, dass dieses Bakterium eine hohe Affinität zu Zellrezeptoren der Mundschleimhaut hat und damit das Binden von pathogenen Keimen und Viren unterbunden wird. Andererseits ist es eine interessante Entdeckung, dass Streptococcus salivarius K12, Bacteriocin-ähnliche inhibitorische Substanzen (in der Fachliteratur als BLIS bacteriocin-like-inhibitory-substances bezeichnet) fördern kann. Diese Moleküle fördern die Ausbreitung der positiven Bakterien und hemmen das Ansiedeln von pathogenen Keimen – dadurch wird die Vermehrung von kommensalen Bakterien stark begünstigt. Und interessanterweise hat man in Zellkulturen auch feststellen können, dass Streptococcus mutans (Verursacher von Karies), Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes gehemmt werden können. Streptococcus pyogenes ist auch der Leitkeim für die Entstehung der Tonsillitis acuta. Im Ohrbereich haben wir wiederum den Moraxella catarrhalis, Haemophilus influenzae, und Streptococcus pneumoniae – all diese Keime können ebenfalls durch diese BLIS-Faktoren in ihrer Ausbreitung unterdrückt werden.

Vitamin D - SonnenvitaminVitamin D und seine Bedeutung für die Immunabwehr

Institut AllergoSan: Dr. Engel, jetzt ist auch bekannt, dass das Vitamin D, also unser Sonnenvitamin, für die Immunabwehr wichtig ist. Warum ist das eigentlich so?

Dr. Engel: Vitamin D ist früher eher für die Regulation des Knochenstoffwechsels und für die Calciumhomöostase bekannt gewesen. Wichtig ist im HNO-Bereich auch, dass durch den Einbau von Calcium und Phosphaten der Zahnschmelz gefördert wird. In den letzten Jahren ist man immer mehr darauf gekommen, dass Vitamin D auch immunmodulierende Faktoren hat, indem es überschießende Abwehrreaktionen hemmt und stimulierend auf regulatorische T- und B-Zellen wirkt. Weiters wird die Freisetzung von antientzündlichen Zytokinen gefördert.

Bekannt ist, dass die Vitamin D-Bildung im Sommer durch die Einstrahlung der Haut gesichert wird. Mit den kalten Monaten in unseren Breiten geht jedoch die Produktion von Vitamin D durch weniger Sonneneinstrahlung zurück. Wir sehen das deutlich daran, dass das Immunsystem in den kalten Jahreszeiten offensichtlich geschwächt ist und so stellt sich eben die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, unser Immunsystem nicht nur mit probiotischen Bakterien zu fördern, sondern auch über eine zusätzliche Gabe von Vitamin D nachzudenken.

Diese Einnahme wäre vor dem Start der kalten Jahreszeit oder im Laufe des Herbstes günstig, um zu gewährleisten, dass das Vitamin D und unser Mikrobiom die Abwehrfunktionen prophylaktisch unterstützen können.

Institut AllergoSan: Haben Sie noch Tipps für die Eltern und für ihre Kinder, die Sie mit auf den Weg geben können?

Dr. Engel: In der Praxis hat sich gezeigt, dass die einfachsten Dinge am wenigsten Beachtung finden. Hierzu zählt sicherlich eine ausgewogene, vitaminreiche Ernährung. Was sich jedoch als oft sehr schwierig herausstellt, ist die Flüssigkeitszufuhr. Ich denke da nicht nur an die orale Flüssigkeitszufuhr, sondern auch an die direkte Befeuchtung unserer Schleimhäute, die insbesondere sowohl im Sommer durch Klimaanlagen, als auch im Winter durch die Heizung austrocknen, sodass eine lokale Befeuchtung mit Nasensprays mitunter förderlich ist. Leicht gesagt, schwer getan ist die Reduktion von Stress. Wichtig ist auch ausreichend Bewegung – insbesondere für Kinder, aber auch für uns Erwachsene.

Wenn man die Schwere der Krankheitsverläufe reduziert und die Entwicklung chronischer Erkrankungen vermindert, können Operationen oftmals verhindert werden.

Ärztlich sollten wir darauf achten, dass wir uns für den Einsatz von Antibiotika nicht zu voreilig, zu rasch und nur halbherzig entscheiden. Hierbei spielt jedoch auch die Verzweiflung der Eltern eine große Rolle. Es heißt oft: „Ich kann mein Kind nicht ständig pflegen und zuhause lassen“, wodurch der Druck, Antibiotika einzusetzen oft sehr hoch ist, um eine scheinbar schnellere Besserung zu erzielen. Jedoch bewirken Antibiotika vor allem bei nicht-bakteriellen Infektionen den gegenteiligen Effekt, da unser Immunsystem durch das Schädigen der gesunden Bakterienflora nur noch weiter geschwächt wird. Letztlich sollten auch Ärzte die Indikationen zu Operationen nach aktuellen Leitlinien kritischer beurteilen. Wenn man die Schwere der Krankheitsverläufe reduziert und die Entwicklung chronischer Erkrankungen vermindert, können Operation oftmals verhindert werden.

Die Gabe von probiotischen Bakterien zur Förderung des Immunsystems stellt einen neuen Therapieansatz dar, da man sie prophylaktisch einsetzt und so den Antibiotikakonsum und die Zahl der Operationen senken kann. Es hat sich gezeigt, dass sich durch den Einsatz von Mikrobiotika die Inzidenz, also die Häufigkeit der Neuinfektionen vermindern lässt. Durch die Reduktion der Infektionen können auch chronische Verläufe, die bei mehrfachen Infektionen entstehen, verhindert, sowie Komplikationen und Operationen reduziert werden.

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*Dr. Alfred Engel kümmert sich in seiner HNO-Facharzt Ordination seit mehr als 20 Jahren um die Anliegen seiner Patienten.

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